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Pflegepatienten: Auszeit für pflegende Angehörige

Wer sich privat rund um die Uhr um einen Pflegepatienten kümmert, hat Anspruch auf Erholung. Eine Übersicht über die Angebote

© truthseeker08

Es ist einer der härtesten Jobs in Deutschland: 24 Stunden am Tag, keine Wochenenden und Feiertage. Gefordert sind Kenntnisse in Kochen und Körperpflege, körperliche und seelische Belastbarkeit sowie ein robustes Nervenkostüm. Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, sind das Rückgrat unseres Sozialwesens. Sie kümmern sich um 1,2 Millionen Patienten. Und immer öfter geraten sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und brauchen selbst Hilfe.

Wiebke Minowitz kennt ihre Klientel. »Regelmäßige Pausen und Auszeiten für sich selbst einzuplanen fällt vielen Angehörigen schwer. Irgendwann klappen sie dann zusammen«, weiß die Beraterin vom Pflegestützpunkt Berlin-Zehlendorf. Dass auch die Helfer Anspruch auf Unterstützung haben, wüssten nur die wenigsten. »Viele sind über die Organisation und Finanzierung von Entlastungsangeboten nicht ausreichend informiert.«

Genau dafür wurden die Pflegestützpunkte ins Leben gerufen. »Diese Stützpunkte sind das Beste, was in den letzten Jahren entstanden ist«, sagt Carola Werdermann. Sie muss es wissen, denn sie pflegt seit 37 Jahren ihre durch die Geburt mehrfach behinderte Tochter. Sie hat jahrelang mit der Krankenkasse und ständig wechselnden, meist ahnungslosen Mitarbeitern um jede Erleichterung für ihre Tochter gekämpft. »Das hat mich krank gemacht.« Jetzt kümmert sich der Pflegestützpunkt und bringt die Dinge auf den Weg. »Das nimmt mir die permanente ­Anspannung.«  

Stützpunkt

Die Experten bieten vielfältige Unterstützung für jedermann, unabhängig von der eigenen Krankenkasse. Sie wissen, wer Anspruch auf welche Leistungen hat, und helfen beim Ausfüllen der entsprechenden Anträge. Sie suchen nach einer Einrichtung der Tages- oder Nachtpflege, der Kurzzeit- oder Verhinderungspflege. Und sie kennen mit der Zeit ihre Stammkunden. Das sind die Angehörigen, die regelmäßig mit ihren Fragen zum Stützpunkt kommen oder bei Problemen anrufen. Beraterin Minowitz: »Wenn einer von denen sagt: ›Ich kann nicht mehr‹, können wir schnell reagieren.«

Angebote

Die gesetzlichen Möglichkeiten für Angehörige sind mittlerweile recht ordentlich. Es gibt mehr Geld, und Leistungen können kombiniert werden, sodass sich damit etliche Pflege-Auszeiten  bezahlen lassen. Das klingt gut, ist aber immer noch so kompliziert, dass Laien die Angebote bei Weitem nicht durchschauen. Außerdem gibt es ohne den entsprechenden Antrag gar nichts. Entlastung bringen vor allem die Auszeit-Angebote, die den Pflegebedürftigen vorübergehend anderweitig unterbringen.

Tagespflege

Die Tagespflege ist eine echte Erleichterung für pflegende Angehörige, denn sie ermöglicht die eigene Berufstätigkeit und schafft Freiräume für den Haushalt und die vielen organisatorischen Aufgaben, die zur Rundumbetreuung dazugehören. Die Pflegekasse übernimmt die pflegebedingten Kosten, die Aufwendungen für die soziale Betreuung und die ­medizinische Behandlungspflege, je nach Pflegestufe bis zu monatlichen Höchst­beträgen. Zur Tagespflege gehört auch der Transport der Patienten. Die Kosten für Unterkunft und Essen müssen privat getragen werden. Dafür kann man das Geld einsetzen, das monatlich für zusätz­li­che Betreuungs- und Entlas­tungs­­­dienste bereitsteht. Pflegegeld und Pflegesachleistungen werden hierdurch nicht gekürzt.

Verhinderungspflege

Wird ein Angehöriger krank oder möchte ein paar Tage Urlaub machen, kann natürlich ein anderer aus der Familie die Rolle übernehmen. Klappt das nicht, wird der Patient solange stationär untergebracht, meistens in einem Altenheim. Diese Möglichkeit nutzt beispielsweise Dieter ­Wiedera. Einmal im Jahr gönnt er sich eine Auszeit von der Betreuung seiner Frau Hildegard und fährt für zehn Tage in die Türkei.

Für Carola Werdermann ist dieses Angebot allerdings keine Lösung, denn für jüngere Patienten gibt es kaum Alternativen zum Altenheim. Einmal hat sie ihre Tochter dort untergebracht, danach nie wieder. Sie räumt ein, dass sich viel verbessert habe, besonders für Demenz­kranke. »Aber für junge Erwachsene gibt es keine adäquaten Angebote, sie wurden schlicht vergessen.« Carola Werdermann schaut sich jede entstehende Pflege­einrichtung in ihrer Umgebung daraufhin an, ob sie für ihre Tochter geeignet ist. Bis sie etwas gefunden hat, nimmt sie ihre Tochter mit in den Urlaub. Kein leichtes Unterfangen mit Rollstuhl und allem, was dazugehört.

Barrierefreier Urlaub

Immerhin: Immer mehr Ferienheime und Hotels haben sich dem wachsenden Bedarf an barrierefreien Übernachtungsmöglichkeiten angepasst und machen einen gemeinsamen Urlaub möglich. Auch Kinder in Rollstühlen sind hier willkommen. Carola Werdermann war mit ihrer Tochter Daniela schon mehrmals im Ostseebad Zinnowitz in der »Casa Familia«.  Die Familienferienstätte hat keinerlei Stufen, dazu elektrisch verstellbare Spezialbetten, unterfahrbare Waschtische und bodenbündige Duschen.

Mehr Angebote für Ferien mit einem Rollstuhlfahrer in der Familie finden sich jeweils nach Bundesländern sortiert auf behindertenreisen.de.

Pflegefall mit zur Reha

Bekommt ein Helfer eine stationäre Reha von der Krankenkasse oder der Rentenversicherung verordnet, dann kann auch der Patient vor Ort in der Kurzzeit- oder in der Verhinderungspflege unter­gebracht werden.

Welche Kliniken diese Unterbringungsmöglichkeiten ­anbieten, finden ­Angehörige auf Rehakliniken (beim Suchbegriff »pflegebedürftige Angehörige« eingeben). Ist die passende Klinik gefunden, müssen nur noch Krankenkasse oder Rentenversicherung zustimmen.

Bestes Argument: Für viele Angehörige verbessern sich die Chancen auf eine ­erfolgreiche Reha beträchtlich, wenn sie ihren Pflegling in der Nähe haben und gut versorgt wissen.

Pflegekasse: Diese Kosten werden übernommen

Betreuungs- und Entlastungs­angebote

Überwiegend sind es die Wohlfahrtsverbände, die mit geschulten ehrenamtlichen Helfern eine stundenweise Betreuung anbieten. Sie erhalten dafür zwischen 7,50 und 15 Euro je
Stunde direkt von der Pflegekasse. Sie stellt dafür unabhängig von der Pflegestufe zusätzlich zu Pflegegeld oder -sach­leistung 104 bzw. 208 Euro im ­Monat für weitere Betreuungs- und Entlastungsangebote bereit. Den höheren Betrag gibt es für Menschen mit demenzieller oder psychischer Erkrankung sowie geistiger Behinderung.

Kurzzeitpflege

Ist die Pflege zeitweise in der häuslichen Umgebung nicht möglich, weil die Wohnung nach einem Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt erst noch umgebaut oder mit Hilfsmitteln ausgestattet werden muss, dann werden Pflegebedürftige vorübergehend stationär betreut. Die Kosten werden für maximal vier Wochen pro Kalenderjahr bis zu insgesamt 1 612 Euro übernommen.

Tagespflege

In der Regel sind die Einrichtungen der Tagespflege zwischen 8 und 17 Uhr für mindestens sechs Stunden geöffnet. Pflegebedürftige können hier stunden- oder tageweise betreut und beschäftigt werden und ihre Mahlzeiten einnehmen. Pflege, Betreuung, medizinische Behandlungspflege und Transport zahlt die Pflegekasse. Unterkunft, Verpflegung und Investitions­kosten zahlt der Pflegebedürftige. Die Tagespflege führt nicht zur Kürzung von Pflegegeld oder -sachleistungen.

Verhinderungspflege

Fällt ein Helfer wegen Urlaub oder Krankheit aus, springt für bis zu sechs Wochen die Pflegekasse ein. Bezahlt wird entweder ein Ersatzpfleger (zum Beispiel ein anderer Verwandter) für die Betreuung zu Hause oder, wenn das nicht geht, eine Verhinderungspflege in einer Pflege­einrichtung. Pro Kalenderjahr werden 1 612 Euro übernommen. Für maximal vier Wochen wird zusätzlich die Hälfte des Pflegegelds weitergezahlt.