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Mit Leidenschaft recherchiert in Berlin

Studium: Kleine oder große Uni – was ist besser?

Kurze Wege, Topbetreuung, günstige Mieten: Studienanfänger finden an Provinzhochschulen oft bessere Bedingungen als an den Massen-Unis der Großstädte

© Nathan Dumlao

Der Prüfungsstress hat Deutschlands Abiturienten gerade noch fest im Griff, doch der Duft der großen Freiheit liegt schon in der Luft: Bald geht’s endlich ab ins Studileben! Neben der ­schönen Aussicht auf die erste eigene ­Wohnung, neue Freunde und durchfei­­erte Nächte warten aber auch wichtige Entscheidungen auf die Studienbewerber: Welche Hochschulen bieten mein Wunschfach an, haben dabei den besten Ruf? Wie und wo möchte ich leben? Und wie bezahle ich das alles?

Gerade diese Frage stellen sich neben den künftigen Akademikern auch deren Eltern, steuern die im Schnitt doch 48 Prozent von deren Ein­nahmen bei, wie eine Untersuchung des Deutschen ­Studentenwerks (DSW) zeigt.

Viele Schulabgänger zieht es zum Studium in die Großstädte – vor allem wenn sie selbst aus der Provinz kommen und einen radikalen Tapetenwechsel planen. Dabei lässt manch einer in der ersten Aufbruchstimmung außer Acht, wie viele Vorteile kleinere Hochschulen in überschaubaren Städten bieten.

Studieren im kleinen Umkreis

Über 45 000 Studenten waren im Wintersemester 2015/2016 an der Uni Frankfurt am Main eingeschrieben, an den Unis München und Köln sogar mehr als 50 000. Wer hier nicht aktiv auf andere zugeht, droht schnell in einer anonymen Masse unterzugehen. »An kleinen Standorten besteht diese Gefahr nicht«, sagt Stefan Grob, Sprecher des DSW. »Außerdem ist das Mengenverhältnis zwischen Studenten und Professoren günstiger. Diese Betreuungsrelation ist ganz entscheidend für ein gelingendes Studium.«

Überschaubarer Campus

Irina Nienstedt kann das nur bestätigen – sie machte ihren Bachelor in Leisure and Tourism Management in Stralsund. Hier sind gerade einmal 2 200 Studenten immatrikuliert. »Der Kontakt zu den Dozenten war super, man hat jedes Semester Professoren, die man schon kennt und die auch deinen Namen kennen. Manche haben uns Studis sogar zu gemeinsamen Abenden zu sich nach Hause eingeladen.«

Neben den 49 Kommilitonen aus ihrem Studiengang lernte sie auch Leute aus anderen Fächern schnell kennen, da sämtliche Bereiche auf dem überschaubaren Campus dicht beieinanderliegen und auf den Mensapartys oder in den Studentenclubs alle zusammen feierten. »Ich habe mein Zuhause nie vermisst, weil man sich in dieser Stadt so geborgen fühlte. Wenn ich morgens am Wasser entlanggeradelt bin, habe ich immer jemanden getroffen, den ich kannte.« Die kurzen Wege zu Freunden und auf dem Hochschulgelände waren für sie ein weiterer Pluspunkt.

Starkes Zusammengehörigkeitsgefühl

Auch für Helge Weimann, der im Außenstandort Lingen der FH Osnabrück Kommunikationsmanagement studierte, ist das starke Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Kommilitonen der Hauptgrund für sein positives Fazit: »Als ich ins Emsland kam, war die Studentenkultur noch nicht so ausgeprägt, viele Kneipen hatten uns gegenüber Vorurteile. Wir haben das dann mit aufgebaut, uns überall vorgestellt und Studirabatte ausgehandelt.«

Dazu dachten sich die neuen Freunde viele Aktivitäten selbst aus, grillten in der Natur und spielten Fußball, was dort überall möglich war, veranstalteten sonntags »Tatort«-Abende und feierten WG-Partys. »Da waren immer alle dabei – auch die, die man nicht so sehr mochte, wären dort niemals ausgegrenzt worden.« Nienstedt und Weimann sind sich sicher: Das Studieren im kleinen Umkreis stärkt den Gemeinschaftssinn. Viele ihrer damals geschlossenen Freundschaften bestehen bis heute.

Hochschulranking

Doch auch in Sachen Lehrqualität müssen sich die kleinen Hochschulstandorte keinesfalls hinter den großen verstecken: Im bekannten Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das unter Zeit Campus einsehbar ist, belegen die Provinz-Unis und -FHs regelmäßig einen der vorderen Plätze. Geprüft werden hierbei vom CHE nicht nur Studium, Lehre, Ausstattung und Forschung, auch die ­Studenten selbst kommen zu Wort und beurteilen die Studienbedingungen in den 39 getesteten Fächern.

Beliebte Studiengänge

Wir haben exemplarisch die belieb­testen Studiengänge in Deutschland abgefragt. Hierzu zählen BWL, Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik, Germanistik und Soziale Arbeit. Die kleinen staat­lichen Hochschulen, die hierbei am besten bewertet wurden, haben wir in der Deutschlandkarte in der Galerie eingezeichnet.

Eine Erkenntnis dabei: Die ebenfalls sehr beliebten Fächer Medizin, Psychologie und Jura werden fast ausschließlich an größeren Stand­orten angeboten. Wer sich für diese ­Studiengänge interessiert, wird an den kleinen Hochschulen in Städten bis 60 000 Einwohner kaum fündig werden.

Ausstattung

Helge Weimann weiß im Nachhinein vor allem den starken Praxisbezug seines Studiums in Lingen zu schätzen: »Wir waren dort optimal ausgestattet, hatten sogar ein eigenes Radio- und Fernsehstudio. Dadurch wurde uns viel Handwerkszeug mitgegeben. Trotzdem lernten wir, wissenschaftlich zu arbeiten, sodass es später kein Problem für mich war, für das Masterstudium von der Fachhochschule an die Uni zu wechseln.«

Auslandssemester

Irina Nienstedt begeisterte an ihrem Studiengang, dass er als einer der ganz wenigen im Bereich Tourismusmanagement hierzulande zu 70 Prozent auf Englisch stattfand. »Perfektes Englisch ist einfach unerlässlich, darum fand ich es super, meine Sprachkenntnisse über das Studium trainieren zu können.« Zudem waren ein Auslandssemester und zwei Exkursionen fester Teil des Stu­diums. »Dabei ging es nach Zypern oder in die USA, wo wir verschiedene Unternehmen besuchten. Das war total spannend, und in unserer Gruppe kam rich­tiges Klassenfahrtgefühl auf.«

Sprachkursangebote

Dass kleine Hochschulen keineswegs für provinzielles Denken stehen, beweisen deren Sprachkursangebote: So kann man etwa an den HS Furtwangen, Zittau und Offenburg, der TU Ilme­nau oder der TU Clausthal neben den gängigen Sprachen auch exotischere wie Japanisch, Chinesisch, Türkisch und Finnisch lernen oder spezielle Englischkurse in Technology und Healthcare belegen.

Hochschulsport

Auch das Sportangebot macht viele ländlicher gelegene Stand­orte noch attraktiver: In Stralsund und Wildau können Studenten im hochschuleigenen Wassersportverein den Segel- oder Sportbootführerschein machen, in Furtwangen, Deggendorf, Albstadt, Zittau und Clausthal bieten die Hochschulen winters Skikurse und sommers Bergsport an. Hier zahlt sich die Nähe zur Natur für die Studenten ganz besonders aus.

Eltern unabhängiges Studium

»Die Studienfachwahl sollte nie vom Geldbeutel der Eltern abhängen«, betont Stefan Grob vom DSW. Doch Fakt ist: In Städten wie München oder Hamburg ist ein Studium für viele junge Menschen und ihre Eltern finanziell schlicht nicht zu stemmen. Das liegt vor allem an den teils horrenden Mieten, selbst für die kleinsten Butzen: Durchschnittlich 370 Euro zahlen Studis in München für ihre Bleibe.

Unterkunft

An kleineren Standorten sind die Kosten für Wohnungen und WG-Zimmer in der Regel deutlich niedriger, vor allem im Osten des Landes. »Generell gilt: Je abgelegener, desto geringer sind die Mieten«, sagt Grob. Zwar stellen Wohn­heime mit einer Durchschnittsmiete von 240 Euro eine günstige Alternative dar, ­allerdings reichen deren Kapazi­täten nur für etwa zehn Prozent aller Studenten –  abgesehen davon, dass viele von ihnen das WG-Leben bevorzugen.

In Sachsen etwa zahlen Studenten im Schnitt nur 242 Euro Miete, und eine eigene Erhebung der kleinen Stadt Zittau zeigt: Mit ihren Monatsmieten von rund 220 Euro kann kaum ein Standort mithalten. Auch die Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel minimieren sich, je kleiner eine Stadt ist, weil alles per Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden kann. Teurer wird es hier nur für Pendler oder Studis, die häufig in die Heimat fahren.

Freizeitaktivitäten

Wie die Untersuchung des DSW ergab, steigen mit der Einwohnerzahl am Hochschulstandort auch die Freizeitausgaben der Studenten merklich an – von monatlich 57 Euro in Städten unter 50 000 Einwohnern auf 77 Euro in Städten mit mehr als 500 000 Bewohnern.

Irina Nienstedt weiß, warum: »Abends wegzugehen war in Stralsund viel günstiger als etwa in Berlin, weil es dort einfach keine teuren Elektroclubs gibt. Stattdessen haben wir uns auf Campuspartys getroffen, im Gewölbekeller oder in Studi­kneipen, wo die Getränke auch bezahlbar waren. Und am Wochenende sind wir oft mit dem Fahrrad nach Rügen gefahren.« Vermisst habe sie nichts, räumt jedoch ein: »Wer das Club- und Partyleben aus Berlin gewöhnt ist, kommt in Stralsund wohl kaum auf seine Kosten.«

Begrüßungsgeld für Studenten

Ein nettes Startkapital bildet in vielen kleinen Städten das Begrüßungsgeld für Studenten, wenn diese ihren Erstwohnsitz hierhin verlegen. In Stralsund gibt es 150 Euro, in Lemgo und Vechta 100 Euro, in Gütenbach bei Furtwangen sogar 500 Euro. Andere Städte stellen Sachgutscheine aus oder erstatten, wie Frankfurt (Oder), den ersten Semesterbeitrag.

Fazit

Für Nienstedt und Weimann hat sich das Studium in der Provinz ausgezahlt: Sie haben unter optimalen Bedingungen studiert, die Zeit genossen und im familiären Umfeld beste Freunde gefunden. Beide haben ihrem Stu­dium auf dem Land später einen Masterstudiengang in einer Großstadt angehängt – Nienstedt in Berlin, Weimann in Leipzig – und so das Beste aus beiden Welten mitnehmen können. Heute arbeiten sie in ihren Traumjobs. Und sagen, dass sie alles wieder so machen würden