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IGeL: Versicherte müssen Leistungen zahlen

IGeL steht für »Individuelle Gesundheitsleistungen«, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen zählen und vom Patient bezahlt werden müssen.

© Creators Collective

Wer über 40 Jahre alt ist, der kennt das. Ohne die Standarduntersuchung »Augeninnendruckmessung zur Glaukomfrüherkennung« (Grüner Star) verlässt man selten die Augenarzt-Praxis.  Problem dabei: Diese Untersuchung ist keine Versicherungsleistung, hier bittet der Arzt selbst zur Kasse - rund 35 Euro in diesem Fall. Sinnvolles Extra oder Geldschneiderei?

Bei der Augeninnendruckmessung ist die Antwort einfach. Der Grüne Star ist die zweithäufigste Erblindungsursache, die Glaukomuntersuchung gehört zu den absolut sinnvollen und nützlichen so genannten IGeL-Leistungen. IGeL steht für »Individuelle Gesundheitsleistungen«,  Leistungen, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen zählen und die der Patient aus eigener Tasche bezahlen muss.

Und nicht nur das. Liquidiert wird wie bei einem Privatpatienten - also bis zum 3,5-Fachen des normalen Gebührensatzes in der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte). Wen wundert es da, dass die Ärzte gern IGeL-Leistungen anbieten. Rekordhalter dabei sind die Augenärzte. Für stetigen Kundenstrom ist gesorgt, denn früher oder später braucht jeder eine Brille. Nach einer neuesten Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK und der Verbraucherzentrale NRW haben sie von allen Ärzten den höchsten Anteil Privatabrechnungen mit gesetzlich Versicherten.

IGeL-Leistungen

Bei den IGeL-Leistungen unterscheidet man zwischen solchen, die weder der Behandlung von Krankheiten noch der Früherkennung dienen und deshalb nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden (z. B. Impfungen für Fernreisen, Tauglichkeitsuntersuchungen für bestimmte Sportarten), und Leistungen, die zwar zur Krankenbehandlung oder Früherkennung geeignet sind, deren Nutzen aber durch den Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht (z. B. Akupunktur) oder bereits abschlägig beurteilt wurde (z. B. Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie gegen Krebs).

Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenkassen

Bundesärztekammerpräsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe erklärt die Zunahme der IGeL-Leistungen so: »Durch die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenkassen wird von den Kassen der  Begriff des Notwendigen in der Medizin mittlerweile wesentlich enger gefasst  als in der Vergangenheit. Gleichzeitig hat der Stellenwert der Gesundheit für die Menschen erheblich zugenommen.«

Was bedeutet: Preist ein Arzt dem Patienten eine Untersuchung als unbedingt erforderlich an, greifen die Patienten bereitwillig zum Portemonnaie. Ärzte haben ein Gespür dafür, welchem Patienten sie welche IGeL-Leistung erfolgreich offerieren können. Laut AOK-Studie werden Patienten mit höherem Einkommen und höherer Schulbildung doppelt so häufig private Zusatzleistungen angeboten wie Patienten unterer Einkommensgruppen und mit einfacher Schulbildung.

Zusatzangebote der Ärzte

Viele Niedergelassene haben den zweiten Gesundheitsmarkt für sich schon voll erschlossen, bereits am Empfangstresen preisen die Arzthelferinnen die Zusatzangebote ihres Chefs an. Andere wiederum haben noch Skrupel und wollen das gute Verhältnis zu ihren Patienten nicht belasten (ebenfalls Ergebnisse der AOK-Studie). Für Ärzte ist es offenbar noch eine Gratwanderung, das rechte Maß zwischen objektiver Beratung und eigenen ökonomischen Interessen zu wahren.

In den letzten 12 Monaten wurden in den Arztpraxen rund 16 Millionen IGeL-Leistungen (ohne zahnärztliche Leistungen) verkauft und damit ein Umsatz von rund einer Milliarde Euro erzielt.

Nicht bezahlte IGeL-Leistungen

Laboruntersuchungen: undeutige Ergebnisse

Die Ergebnisse einzelner Laboruntersuchungen bringen dem Patienten aber längst nicht immer die gewünschte Gewissheit. Beispiel: Der Triple-Test bei Schwangeren (zwischen 16.-18. Woche), der unter anderem feststellen soll, ob das Kind am Down-Syndrom leidet, hat eine Fehlerquote von 50 Prozent.

Das bedeutet, selbst wenn der Test Auffälligkeiten aufweist, muss kein Down-Syndrom vorliegen und umgekehrt, auch bei völlig gesunden Kindern kann das Test-Ergebnis unklar sein. Für die werdende Mutter ein sehr belastender Zustand.

Auch der PSA-Test bei Männern zum Nachweis von Prostatakrebs ist in seiner Aussagekraft umstritten. Zwar findet er Tumore, kann aber nicht unterscheiden, ob es sich um schnell wachsende oder eher kleine und langsam wachsende Tumore handelt, die dem Mann unter Umständen niemals im Leben Beschwerden bereiten werden und deshalb auch keine Operation erfordern. Sinnvoll ist der Test dennoch, wenn er jährlich durchgeführt wird, weil dann beim Vergleich der Ergebnisreihe eine echte Risikobewertung möglich wird.

Tipp: Auf Sex und Radfahren sollten Männer vor der Untersuchung verzichten, weil die Ergebnisse dadurch verfälscht werden. Derzeit raten zahlreiche Urologen eher zum cPSA-Test, der klarere Ergebnisse liefert.

Ultraschalluntersuchung bei Schwangeren

Zu den IGeL-Leistungen, die in die Kategorie »überflüssig« gehören, zählen Ultraschalluntersuchungen bei Schwangeren über die drei gesetzlich bezahlten (zwischen 9.-12., 19.-22. und 29.-32. Schwangerschaftswoche) hinaus. Wer »Baby-Kino« gucken will, soll dafür auch die 40 Euro (in der 3 D-Version 100 Euro) bezahlen und mit diesen Extrakosten nicht die Versichertengemeinschaft belasten. Übrigens, bei medizinischer Notwendigkeit, zum Beispiel Schmerzen im Unterbauch, zahlt die Kasse auch weitere Ultraschalluntersuchungen.

Geld zurück beim positivem Befund

In den Fällen, in denen eine privat bezahlte IGeL-Leistung einen krankhaften Befund ergibt, erstattet die Krankenkasse den Rechnungsbetrag rückwirkend. Das trifft zum Beispiel bei der Glaukom-Untersuchung, dem PSA-Test bei Männern, der Ultraschalluntersuchung der Brust bei Frauen und beim Hautscreening zu.

Deshalb ist es wichtig, sich vom Arzt eine detaillierte Rechnung ausstellen zu lassen. Das ist übrigens nicht immer selbstverständlich, rund 15 Prozent der Ärzte kassieren lieber Cash ohne Beleg - wenn der Patient nicht gerade Finanzbeamter ist...

Besuch beim Augenoptiker

Auch der Augenoptiker kann verschiedene Tests durchführen. Eine Glaukomuntersuchung empfiehlt sich allerdings eher beim Augenarzt, weil er den Augenhintergrund mit untersucht.

Fazit

Wer die von seiner gesetzlichen Kasse angebotenen Leistungen, zum Beispiel die Gesundheits-Check-ups, wahrnimmt, hat schon eine Menge für seine Gesundheit getan. Wer dann einmal jährlich eine professionelle Zahnreinigung beim Zahnarzt aus eigener Tasche bezahlt, alle zwei Jahre beim Augenarzt den Glaukom-Check und beim Hautarzt ein Hautscreening durchführen lässt, wird finanziell nicht überfordert und hat etwas Sinnvolles für seine Gesundheit getan.

Darüber hinausgehende IGeL-Leistungen sollten Sie kritisch sehen. Sie sollten Ihren Arzt intensiver als sonst nach Vor- und Nachteilen befragen und sich zusätzlich außerhalb der Praxis informieren. Die Kassen bieten hier übrigens sehr brauchbare Hilfestellungen an. Anruf genügt. Man darf sich jedenfalls darauf verlassen, dass medizinisch Notwendiges auch weiterhin Kassenleistung ist. IGeL-Leistungen setzen stark auf Früherkennung und dienen der Risikoabschätzung.

IGeL-Checkliste

Angebote vom Arzt

Nachfragen

Bietet der Arzt eine private Gesundheitsleistung an, immer erst nach dem Nutzen fragen und sich erklären lassen, welche Risiken mit der Methode verbunden sind. Fragen Sie auch, ob eventuell Folgeuntersuchungen notwendig werden.

Warum keine Kassenleistung

Fragen Sie den Arzt, warum die gesetzliche Kasse die Kosten für diese Behandlung nicht übernimmt.

Zweite Meinung

Bei Unsicherheit kann auch ein zweiter Arzt nach seiner Meinung befragt werden.

Bedenkzeit

Abwarten

Niemals sofort einer Behandlung zustimmen, die der Arzt als Privatleistung anbietet, immer einen gesonderten Termin vereinbaren.

Informieren

Erst umfangreich über den Nutzen einer Untersuchung oder eines Tests informieren: bei der Krankenkasse oder mit Hilfe der Guter Rat-Liste.

Ohne Bedingungen

Entweder oder Will ein Arzt die Behandlung, wegen der Sie ihn aufgesucht haben, nur durchführen, wenn Sie auch noch eine IGeL- Leistung kaufen, dann wechseln Sie den Arzt und melden Sie ihn der Kasse.

Schriftlicher Vertrag

Kostenübernahme

Der Arzt darf die Behandlung nur privat in Rechnung stellen, wenn er Sie vorher darauf aufmerksam gemacht hat, dass Sie die Kosten dafür selbst zahlen müssen.

Kostenhöhe

Die schriftliche Vereinbarung muss die zu erwartenden Kosten exakt nennen.

Rechnung

Die Rechnung muss entsprechend der Gebührenordnung (GOÄ) für Ärzte oder Zahnärzte ausgestellt sein und die erbrachten Leistungen einzeln auflisten.

Kostenübernahme

Wird bei einer IGeL-Leistung ein krankhafter Befund diagnostiziert, übernimmt die Krankenkasse die Kosten (Vorlage der Rechnung).

Hinweis

Suchen Sie einen Arzt nur auf, um eine individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch zu nehmen, dann müssen Sie keine Praxisgebühr zahlen.