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Realzins: Tücken und Tipps

Steigende Tages- und Festgeldzinsen lassen die Herzen vieler Sparer höherschlagen. Doch die hohe Inflation sorgt dafür, dass die Freude darüber nicht ungetrübt bleibt. Wie können Sparer darauf reagieren?

© Аlex Arzibaschew

Die Deutschen lieben feste Zinsen. Derzeit können sie wieder aufatmen. Denn für Tagesgeld, eine der beliebtesten Anlageformen, gibt es wieder ordentliche Zinsen. Die ING und die Santander Bank zahlen z.B. drei Prozent – für die ersten sechs Monate. Die Renault Bank direkt bietet für die ersten drei Monate sogar 3,3 Prozent. Auch auf ihren Festgeldkonten bekommen Sparer endlich wieder Zinsen. Wer z.B. bei der tschechischen J&T Direktbank Geld für ein Jahr fest anlegt, bekommt 3,4 Prozent. Das hört sich, verglichen mit den vergangenen Jahren, in denen es keine Zinsen gab oder teilweise sogar negative Zinsen berechnet wurden, gut an. Doch der Schein trügt.

Verlorene Kaufkraft

Denn nach Angaben des Finanzportals tagesgeldvergleich.net sorgt die Geldmengelage – sprich die Inflation – für ein deutliches Minus in den Kassen der Bürger. Laut dem Portal verloren deutsche Sparer im ersten Quartal 2023 real rund 55,85 Milliarden Euro an Kaufkraft.

Achtung, Mogelpackung!

Bei den Zinsen, mit denen die Banken werben, handelt es sich um nominale Zinsen. Was bedeutet das? Bei einem Anlagebetrag von bspw. 10000 Euro, die über ein Jahr mit 3,4 Prozent verzinst werden, erhält der Sparer nominal 340 Euro Zinsen. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Bei einer Inflationsrate von aktuell 7,2 Prozent haben die 10000 Euro nach einem Jahr nämlich nur noch eine reale Kaufkraft von 9280 Euro, und die Zinsen sind eigentlich real auch nur noch 315,52 Euro wert. Saldiert man die 315,52 Euro Zinsen mit dem Kaufkraftverlust von 720 Euro würde das unter dem Strich einen Verlust von 404,48 Euro bedeuten. Die reale Verzinsung würde in diesem Fall also minus vier Prozent betragen.

Was können Sparer tun?

Zu einem Tagesgeldkonto gibt es eigentlich keine Alternative. Hier sollte das Geld geparkt werden, das als Reserve für plötzlich anfallende Ausgaben wie beispielsweise den Austausch einer defekten Waschmaschine oder eine notwendig werdende Autoreparatur kurzfristig verfügbar sein muss.

Inflationsschutz

Anders sieht es aus, wenn es um Sparkonten, also um Geldanlagen mit einer Anlagedauer von einem Jahr und mehr, geht. Hier bietet der Bund sogenannte inflationsindexierte Anleihen. Bei solchen festverzinslichen Wertpapieren werden der Anlagebetrag und die Zinsen gegen einen Kaufkraftverlust geschützt. Diesen Schutz bezahlen Anleger jedoch mit einer niedrigen Verzinsung ihres Geldes.

Beispiel

Die inflationsindexierte Anleihe des Bundes mit der ISIN DE0001030583 hat eine Restlaufzeit von knapp zehn Jahren. Sie wird nominal mit 0,1 Prozent verzinst. Dafür wird bei diesem Anleihetyp der Nennwert, also der Wert, zu dem die Anleihe ursprünglich emittiert wurde, jährlich an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex angepasst. Dazu wird der Nennwert mit einer sogenannten Indexverhältniszahl multipliziert, die die Inflationsentwicklung wiedergibt. Steigt die Inflation, steigt also auch der Wert der Anleihe, den der Anleger bei einem Verkauf des Wertpapiers oder letztendlich bei Fälligkeit erhält. Klingt einfach, ist aber in der Praxis für viele eine echte Herausforderung.

Inflationsausgleich 

Der Kurs dieser Anleihe wird z.B. mit 101,39 (Stand 5.5.) angegeben. Achtung: Das ist aber nur der Börsenkurs, der den Inflationsschutz, den diese Anleihe bietet, nicht widerspiegelt. Tatsächlich beträgt der aktuelle Kurswert der Anleihe, der den Inflationsausgleich berücksichtigt und den ein Anleger beim Kauf zahlen müsste, 117,61. Darin sind der Börsenkurs multipliziert mit der Indexverhältniszahl und der (Stück-)Zins x Zinsanteil seit letzter Zinszahlung ebenfalls multipliziert mit der Indexverhältniszahl enthalten.

Das ist wichtig, denn Käufer sehen auf den Internetportalen ihrer Banken meist nur den Börsenkurs dieser Anleihen. Um Überraschungen zu vermeiden, sollte man vor einer Kaufentscheidung den realen Kurswert der Anleihe bei seiner Bank oder der Deutschen Finanzagentur abfragen.

Das ist aber nicht alles. Denn bei diesen inflationsgeschützten Wertpapieren werden auch die Zinszahlungen an die Inflationsentwicklung angepasst. Dazu wird der Kupon (Zinssatz) mit der Indexverhältniszahl multipliziert, die die Deutsche Finanzagentur auf ihrer Website deutsche-finanzagentur.de veröffentlicht. So betrug der reale Zinssatz der nominal mit 0,1 Prozent verzinsten Anleihe in unserem Beispiel zum Zinstermin am 15. April dieses Jahres 0,115259 Prozent.

Vergleichsrechnung

Bei einem Kurs von 101,39 würde die Verzinsung bezogen auf den Börsenkurs (ohne Inflationsausgleich) eine Rendite von minus 0,04 Prozent bedeuten. Diesem Verlust würde der Kaufkraftverlust gegenüberstehen, der mit dieser Anleihe vermieden werden konnte. Ein Inflationsausgleich stellt jedoch keinen Gewinn wie Zinsen oder Dividenden, sondern lediglich einen Vermögenserhalt dar und spiegelt sich daher nicht in der Rendite wider.

Zum Vergleich: Eine »normale« Bundesanleihe mit einer vergleichbaren Restlaufzeit von gut elf Jahren (ISIN DE0001135226) wird nominal mit 4,75 Prozent verzinst. Ein Anleger kauft die Anleihe zu einem Kurs von 127,9 (inklusive Stückzinsen von 4,01 Euro). Unter Berücksichtigung der Zinserträge bedeutet das eine Rendite von 2,3 Prozent p.a. Dafür müsste der Anleger den Kaufkraftverlust während der Haltedauer hinnehmen. Und der betrug allein im vergangenen Jahr 7,9 Prozent.

Wie geht es weiter?

Bei einer steigenden Inflation und einem überschaubaren Zinsniveau dürfte ein Anleger mit einer inflationsgeschützten Anleihe wahrscheinlich besser fahren als mit einem konventionellen Zinspapier. Doch die Europäische Zentralbank hat Anfang Mai die Leitzinsen um 0,25 Prozent weiter angehoben. Das könnte die Inflation eindämmen. Gleichzeitig dürften sich die Konditionen für Spareinlagen geringfügig verbessern. Doch das eigentliche Problem besteht weiter: Die Inflation übertrifft die nominale Verzinsung von Sparguthaben, sodass Kaufkraft dieser Geldguthaben weiter sinken dürfte.

Break-even-Inflationsrate

Einen Hinweis darauf, wann – also ab welcher Inflationsrate (Break-even-Inflationsrate) – einzelne inflationsgeschützte Bundesanleihen im Vergleich zu einer konventionellen Staatsanleihe Sinn machen, liefert die Deutsche Finanzagentur. Die Break-even-Inflationsrate und damit die heutige durchschnittliche Inflationserwartung des Marktes bewegt sich danach zwischen 2,2 und 2,5 Prozent – je nach Restlaufzeit. Dazu muss man wissen, dass sich die veröffentlichten Break-evens auf die gesamte Restlaufzeit der jeweiligen Anleihen beziehen. Der Break-even wird auf Deutsch auch als Gewinnschwelle bezeichnet. Wer also mittel- und langfristig davon ausgeht, dass sich die Inflation zwischen 2,2 und 2,5 Prozent bewegt, dürfte mit einer der abgebildeten inflationsgeschützten Anleihen voraussichtlich nicht verkehrt liegen. Sparer, die von dem komplizierten Mechanismus dieser Wertpapiere irritiert sind, sollten eine Probe aufs Exempel wagen und eine solche Anleihe jedoch vor einer Anlageentscheidung mit einem kleinen Anlagebetrag testen.