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Mit Leidenschaft recherchiert in Berlin

Digital Detox: Eine Pause von der Online-Welt

Das Smartphone als digitaler Alleskönner ist für viele Menschen unersetzlich geworden. Doch die permanente Erreichbarkeit kann belastend werden. Warum es sinnvoll ist, auch mal abzuschalten.

© Amy Benton Blake

Zehn Stunden pro Tag verbringen die Menschen hierzulande durchschnittlich vor den Bildschirmen: am Computer, am Tablet, vorm Fernseher und mit dem Smartphone. Gerade das Handy ist kaum noch aus dem Alltag wegzudenken. 89 Prozent der Deutschen besitzen eines, bei den ab 65-Jährigen liegt der Anteil inzwischen bei 73 Prozent. Etwa dreieinhalb Stunden sind wir täglich mit dem Smartphone zugange, und schon ein kurzer Blick aufs Display reicht aus, um sich abzulenken. Die Folge: Wir brauchen länger, um Dinge abzuarbeiten, sind unkonzentrierter und am Ende auch unzufriedener. Viele verspüren deshalb den Wunsch, ab und an nicht erreichbar zu sein.

Digitale Entgiftung für mehr Ruhe und Fokus

Digital Detox, auf Deutsch digitale Entgiftung, nennt sich diese Pause von der Online-Welt. Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Otto hat das Thema 2016 als Erste in Deutschland in einem Ratgeber aufgegriffen, nachdem sie auf einer US-Pferderanch ihren eigenen Aha-Moment erlebte. »Ich hatte meine Doktorarbeit über das Thema Vernetzung beendet und mich nach Entspannung gesehnt.« Doch auf die erste Freude über Ruhe und Erholung folgte Ernüchterung: kein Netz und damit kaum Verbindung zur Außenwelt. »So wurde dieser Ranch-Aufenthalt für mich unfreiwillig zum Offline-Bootcamp.« Morgens kurz ins Küchen-WLAN, dann ohne Handy rauf aufs Pferd und erst abends wieder nach Hause. »Ich war müde vom Reiten und der frischen Luft. Und ich war glücklich und ruhig.«

Ihren Digital-Detox-Ratgeber hat sie inzwischen vollständig überarbeitet. »Das Thema wird zwingender, weil präsenter«, so Otto. »TikTok zum Beispiel gab es damals noch gar nicht, Homeoffice ist erst vor Kurzem relevant geworden, die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit verwischen mehr und mehr.« Mails checken, während der Arbeit auch die Chatverläufe mit dem Kollegium im Blick behalten, dazu aufploppende Nachrichten über verschiedenste Plattformen aus dem Bekanntenkreis: »Besonders toxisch ist es, immer ein bisschen online zu sein.« Otto empfiehlt, sich eine Struktur zu schaffen. »Nur wer im digitalen Zeitalter bewusst mit Medien umgeht, kann effektiv und fokussiert arbeiten, selbstbestimmt kommunizieren und Spaß am Dasein haben.«

Smartphone-Konsum: Zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und möglicher Sucht

Die richtige Balance für sich selbst herauszufinden ist jedoch gar nicht so leicht. Schließlich ist der anhaltende Smartphone-Konsum gesellschaftlich vollkommen anerkannt. Niemand wundert sich, wenn in der U-Bahn Fahrgäste auf ihren Handybildschirm starren. »Smombie«, eine Kombi aus den Worten Smartphone und Zombie, hat es 2015 zum Jugendwort des Jahres geschafft. 

Zwar gibt es keine offizielle Diagnose für Smartphone-Sucht. Die Wissenschaft untersucht jedoch, inwiefern klassische Suchtsymptome auf den Bereich der mobilen Internetsucht übertragen werden können. David Greenfield, Gründer des Zentrums für Internet- und Technologiesucht, hat einen Fragebogen zur Smartphone-Nutzung entwickelt, der unter virtual-addiction.com/smartphone-compulsion-test zu finden ist. Wer mehr als acht der Fragen mit Ja beantwortet, zeigt seiner Meinung nach zwanghaftes Verhalten und sollte sich Hilfe suchen. 

Besonders toxisch ist es, immer ein bisschen online zu sein.

Daniela Otto, Expertin für Digital Detox

Nomophobie und FOMO: Die Angst vor dem Handyverlust und das Bedürfnis, nichts zu verpassen

Prof. Dr. Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der Privaten Hochschule (PFH) in Göttingen, beschäftigt sich mit dem Phänomen der Nomophobie, einer Wortschöpfung aus dem Englischen: no mobile phone phobia. Der Begriff beschreibt die Angst davor, ohne funktionsfähiges Handy zu sein, weil etwa der Akku leer ist. »In früheren Studien wurden signifikante Zusammenhänge zwischen Nomophobie und Einsamkeit, Depression, Ablenkung und verminderter Impulskontrolle festgestellt.« Zusammen mit der Psychologin Melina Coenen hat Görlich rund 800 Personen im Alter von durchschnittlich 25 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass fast die Hälfte der Teilnehmenden ein mittleres Maß an Nomophobie aufweist, bei 4,1 Prozent ist sie sogar sehr ausgeprägt. 

Auch die Angst, etwas zu verpassen, die sogenannte fear of missing out (FOMO), hängt eng mit der Nomophobie zusammen. Frauen sind laut der Studie besorgter als Männer, wenn sie ohne Smartphone nicht kommunizieren können. Auch nehmen sie das fehlende Smartphone mehr als »Komfortverzicht« wahr. »Wir können davon ausgehen, dass Frauen aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen das Smartphone stärker zur Kommunikation nutzen und somit höhere Nomophobie-Scores erzielen«, so Görlich. Diese Angst zeigt sich zuweilen auch in körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen und Ruhelosigkeit.

Die positiven Effekte bewusster Auszeiten

Bewusste Auszeiten von Online-Medien wirken sich hingegen positiv aus. Das zeigt u.a. eine Studie der Ruhr-Universität Bochum. Dafür setzte ein Team um die Psychologin Dr. Julia Brailovskaia 200 Testpersonen eine Woche auf komplette Smartphone-Diät. 226 weitere Personen nutzten das Handy pro Tag eine Stunde weniger als zuvor, und eine Kontrollgruppe änderte ihr Verhalten nicht. Das Ergebnis: In beiden Diätgruppen gingen Ängste und Depressionen zurück, die Testpersonen rauchten weniger und bewegten sich mehr als zuvor. Auch gaben sie an, dass sich ihr Wohlbefinden insgesamt deutlich verbessert habe. Vier Monate nach Ende des Experiments nutzten die Mitglieder der Abstinenzgruppe ihr Smartphone durchschnittlich 38 Minuten pro Tag weniger als zuvor. Die Gruppe derer, die im Experiment täglich eine Stunde weniger mit dem Smartphone verbracht hatten, nutzten es nach vier Monaten pro Tag sogar 45 Minuten weniger als zuvor. »Es ist nicht nötig, komplett aufs Smartphone zu verzichten, um sich besser zu fühlen«, folgert Brailovskaia. »Möglicherweise gibt es eine optimale tägliche Nutzungsdauer.«

Auch Yvonne Görlich rät nicht zur digitalen Enthaltsamkeit. »Das Smartphone ist ein Gewinn für alle Lebenslagen, ein praktischer Alltagshelfer. Aber es soll mein Leben nicht zentrieren.« Sie empfiehlt, das eigene Nutzungsverhalten zu hinterfragen und den Gebrauch zu steuern. »Wann greife ich besonders oft zum Smartphone und aus welchem Grund? Wie viel Zeit verbringe ich mit bestimmten Apps? Wer das für sich erkannt hat, kann seinem problematischen Smartphone-Gebrauch entgegenwirken.«

Tipps für einen gesunden Umgang mit dem Smartphone

Görlich plädiert für smartphonefreie Zeiten und Zonen, angefangen im Schlafzimmer. Denn wer das Handy neben dem Bett auflädt und sich morgens damit wecken lässt, startet den Tag automatisch mit dem Griff zum Smartphone. Dann ist auch die Hemmschwelle niedrig, gleich nach dem Aufwachen Mails zu checken oder die News des Tages zu lesen. »Mit festen Schlafenszeiten ohne Smartphone am Bett wäre schon viel geholfen.« Alternativ zum Smartphone hilft ein analoger Wecker gegen das Verschlafen.

In den Einstellungen jedes Smartphones lässt sich ein »Nicht stören«-Modus aktivieren, etwa vom Abend bis zum nächsten Morgen. In dieser Zeit wird das Telefon bei eingehenden Anrufen und Nachrichten keinen Laut von sich geben. Für wichtige Kontakte wie Familienmitglieder lassen sich auch Ausnahmen einstellen, damit das Telefon im Notfall trotzdem klingelt. 

Wer sich verbietet, das Lieblingsspiel am Handy zu öffnen, wird an nichts anderes denken können. Sinnvoller ist es, den Zugang zu beliebten Apps zu erschweren oder sie zu löschen. »Warum nutze ich diese App? Macht sie mich glücklich? Oder unzufrieden, weil sie mir die Zeit raubt? Diese Fragen sollte sich jeder stellen und die eigene Handynutzung reflektieren«, so Daniela Otto. Ist es wirklich nötig, sämtliche Anwendungen auch unterwegs konsumieren zu können, oder reicht es aus, über den Laptop darauf zuzugreifen? »Wenn Sie eine neue App ausprobieren, löschen Sie diese wieder, wenn Sie nicht sicher sind, ob sie etwas für Sie ist.« 

Wer konzentriert und ohne Störung arbeiten möchte, sollte für diese Zeit das Smartphone aus dem Raum verbannen. Denn allein seine Anwesenheit wirkt sich laut einer Studie der Universität Paderborn ungünstig auf die Produktivität aus. Selbst in ausgeschaltetem Zustand oder mit abgedecktem Bildschirm beeinflusst demnach das Handy in Sichtweite die kognitive Leistung, Personen arbeiten langsamer und unkonzentrierter. 

Manchmal tut es auch gut, vollkommen offline zu sein. Wer einen Tag ohne Smartphone plant, sollte vorher überlegen, wie das Programm gestaltet werden kann. Dazu gehört etwa, im Vorhinein die Wetter-App zu checken und eine mögliche Wanderroute zu erstellen. Auch das Umfeld sollte über das Vorhaben informiert werden. Das erspart Ärger, weil etwa Nachrichten nicht sofort beantwortet werden oder Anrufe ins Leere laufen. Womöglich haben auch andere Lust auf eine Digital-Detox-Challenge und spornen sich auf diese Weise gegenseitig an. Je mehr Leute mitmachen, desto leichter fällt es, am Ende auch wirklich mal abzuschalten.

Handy: Warum wir so oft online sind

Du bist nicht allein!

Das Handy verspricht Kontakt zur Außenwelt. Wir können telefonieren, Nachrichten schreiben, uns im Videochat anschauen. Wir können diskutieren, bewerten und bekommen im besten Fall Rückmeldungen auf unsere Postings. Wer nicht aktiv auf Social-Media-Portalen mitmischt, kann mithilfe von Stories und Statusanzeigen immerhin gefühlt am Leben der anderen teilhaben. Das alles gibt uns das positive Gefühl, mittendrin zu sein.

Belohn dich!

Die Nutzung des Smartphones spricht ein Hirnareal an, das auch bei Sex, Geld und Drogen anspringt. Jeder Like, jeder neue Follower aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn und schüttet den als »Glückshormon« bekannten Neurotransmitter Dopamin aus. Das fühlt sich gut an. 

Bleib bei mir!

Apps und Plattformen sind häufig so gestaltet, dass Menschen sie oft und lange nutzen. Denn mit längerer Verweilzeit lassen sich mehr Daten sammeln. Mittels Pushnachrichten machen einzelne Apps auf sich aufmerksam, erinnern, dass etwas Neues wartet. Das verleitet, noch mehr Zeit dort zu verbringen.

Scroll weiter!

Plattformen wie Facebook, Instagram, X, TikTok und viele andere bauen auf eine niemals endende Timeline. Das heißt, wer nach unten scrollt und am Ende der Seite ankommt, bekommt danach automatisch immer weiter neu geladene Inhalte angezeigt. Das macht es schwer aufzuhören.

Antworte mir!

Bei Messengerdiensten wie WhatsApp wird in der Regel angezeigt, wann die andere Person die Nachricht gelesen hat. Wer eine Nachricht öffnet, ohne sie zu beantworten, kann so schnell unter Druck geraten. Schließlich weiß der andere ja, dass die Nachricht gelesen wurde. Im Gegenzug macht es nervös, wenn eine abgeschickte Nachricht als gelesen markiert ist, aber keine Antwort kommt. Was folgt, ist der Griff zum Handy, um zu schauen, ob eine Reaktion eingeht.