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Lebensversicherung: Inflation, Zinsniveau und Policen

Wie viel sind 100 000 Euro, die Ihre Lebensversicherung Ihnen garantiert, in zehn oder zwanzig Jahren noch wert? Wir haben mit einem Fachmann gerechnet.

© Sara Kurfeß

D ie Deutschen besitzen etwa 82 Millionen Lebens- oder Rentenversicherungen. Damit hat theoretisch fast jeder Bundesbürger eine solche Police in seiner Schublade. Hier geht es fast immer um sehr viel Geld. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beziffert die Zahlungsverpflichtungen der Versicherer gegenüber ihren Kunden aktuell mit über 1,1 Billionen Euro.

Zeithorizont beachten

Klassische Lebensversicherungen (keine fondsgebundenen) haben eine feste nominale Verzinsung, garantierte nominale Versicherungssummen und haben meist eine lange Laufzeit (siehe auch Guter Rat 12/2021). Verlässlichkeit dürfte einer der Hauptgründe für die Beliebtheit solcher Policen sein. Doch diese Verträge haben auch eine Schwachstelle. Die Inflation lässt ihren realen Wert – also die Kaufkraft – der nominal garantierten Versicherungsleistungszusagen über die Zeit regelrecht schmelzen.

Auswirkungen für ihre Police

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Versicherer bei klassischen Lebensversicherungsverträgen mit einer garantierten Verzinsung durch laufende Überschüsse, Schlussüberschüsse und Bewertungsreserven in der Regel eine deutlich höhere Versicherungsleistung auszahlen als den Betrag, den sie garantieren. Was also sollen Versicherungsnehmer tun?

Komplizierte Entscheidungen

Dean Goff, Vorstandsvorsitzender von Partner in Life, einem Unternehmen, das seit über 20 Jahren gebrauchte Lebensversicherungsverträge ankauft, hält und verkauft, kennt das Problem. »Angesichts der steigenden Inflation ist die Gemengelage für den Versicherten oft unübersichtlich. Denn gerade bei älteren Verträgen steht einer hohen Verzinsung von 3,5 oder gar vier Prozent seit einiger Zeit eine steigende Inflationsrate gegenüber.« Die Zinsen, die diese alten Verträge bieten, sind jedoch meist deutlich höher als das, was man heute für sichere Geldanlagen oder für Tages- und Festgeldkonten bekommt.

Die Folgen der Inflation für Lebensversicherungsverträge müssen gut mit den Vorteilen, die vor allem ältere Verträge bieten, abgewogen werden. »Das ist keine einfache Sache. Die meisten Policen«, so Goff, »decken z. B. zusätzlich zum Todesfallschutz auch bestimmte Risiken wie eine Berufsunfähigkeit ab. Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit in seiner Police hat, bekommt diese Risikoabdeckung heute nicht mehr zu vergleichbar günstigen Konditionen.«

Erstes Zwischenfazit

Was scheinbar einfach aussieht – sprich die Kündigung oder der Verkauf einer Police –, will also gut bedacht sein. Vor allem ältere Verträge, rät Goff, sollten nicht ohne Not bzw. gut abgewogene Alternativen aufgegeben werden. Daher sollten Versicherungsnehmer einen solchen Schritt nicht ohne unabhängige Beratung zum Beispiel durch eine Verbraucherzentrale tun.

Was können die Versicherten tun?

Letztendlich reduziert sich dabei alles auf die Frage: Lohnen sich weitere Beitragszahlungen in einen z. B. mit 3,25 Prozent verzinsten Vertrag bei einer Inflationsrate von angenommen lange anhaltenden 4,5 Prozent? Oder gibt es andere Optionen, die man ziehen kann? Dabei gibt es einiges zu rechnen, wie ein fiktiver Beispielfall zeigt, den Partner in Life durchkalkuliert hat (siehe Seite16). Dabei geht es um einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren und einer garantierten Verzinsung von 3,25 Prozent.

Der Sparanteil der jährlichen Beitragszahlungen beträgt 3090 Euro. Der Vertrag hat eine Restlaufzeit von zehn Jahren. Die garantierte Ablaufleistung wird mit 133705 Euro angenommen. Der aktuelle Rückkaufswert der Police würde 71545 Euro betragen.

Für den Versicherten haben sich die vergangenen 20 Jahre, die er in seinen Vertrag eingezahlt hat, gelohnt. Nach Berechnungen der Versicherungshändler ergibt sich auch für die kommenden zehn Jahr eine Bruttobeitragsrendite (bezogen auf den aktuellen Rückkaufswert der Police) von immerhin 2,82 Prozent. Allerdings ist dabei nicht die Inflation berücksichtigt. Aber die schlägt seit letztem Jahr wieder stärker zu Buche.

Wie soll es also weitergehen?

Macht es angesichts der hohen Inflation Sinn, das Geld aus der Police z. B. in eine Immobilie zu investieren, die mehr Schutz vor einer Geldentwertung bietet? Oder weiter einzahlen? In der Beispielrechnung wird eine Inflation von 4,5 Prozent für die nächsten zehn Jahre angenommen. Die garantierte nominale Versicherungsleistung würde nach Ablauf des Vertrags 133705 Euro betragen. Die hätte dann, so rechnet Goff, bei einer Inflationsrate von 4,5 Prozent noch eine Kaufkraft von 95837 Euro.

Der aktuelle Rückkaufswert würde bei Stornierung 71545 Euro betragen, so der Policenprofi. Es gäbe aber auch die Möglichkeit, den Vertrag beitragsfrei weiterlaufen zu lassen. Die »gesparten« Beiträge würden 30900 Euro betragen. Nach zehn Jahren hätten die »geparkten« 71545 Euro noch eine Kaufkraft von 64937 Euro.

Zweites Zwischenfazit

Würde der Versicherungsnehmer seinen Vertrag stornieren, bekäme er aktuell 71545 Euro als Rückkaufswert von der Versicherung. Gegenüber der Kaufkraft, die dieser Betrag bei 4,5 Prozent Inflation in zehn Jahren repräsentiert, bedeutet das einen Kaufkraftgewinn von 6608 Euro (71545 minus 64937 = 6608 Euro).

Verkauf oder Storno

Würde sich der Versicherungsnehmer tatsächlich entscheiden, seinen Vertrag zu beenden, wäre die Stornierung keine optimale Lösung. »Wer sich nach eingehender Auseinandersetzung mit der Leistungsfähigkeit seiner Police entschließt, den Vertrag vorzeitig zu beenden«, meint Goff, »sollte sich auf alle Fälle ein Angebot auf dem Zweitmarkt für Lebensversicherungen machen lassen. Policenkäufer – und hier sollte man darauf achten, dass der Käufer Mitglied im Bundesverband Zweitmarkt Lebensversicherungen (BVZL) ist – zahlen durchschnittlich bis zu fünf Prozent mehr als die Versicherungsunternehmen bei einem Storno.« In dem Beispiel würde der Kaufkraftgewinn bei einem Verkauf der Police, bei drei Prozent über dem Rückkaufswert, ein Plus von 8754 Euro (71545 Euro x103 Prozent minus 64937 Euro = 8754 Euro) für den Versicherungsnehmer bedeuten.

Zweifel beachten

Natürlich fragt man sich, ob der Verkauf einer Lebensversicherungspolice tatsächlich so problemlos über die Bühne geht oder ob hier bürokratische Stolpersteine drohen.

Klemens Kramer vom Bodensee hat das vor einem Jahr ausprobiert und seine mit vier Prozent verzinste Lebensversicherung verkauft. Die Police hatte eine Restlaufzeit von zwei Jahren. »Hätte ich meinen Vertrag damals storniert, hätte ich von der Versicherung 32000 Euro bekommen.« Kramer war damit nicht zufrieden und ließ sich über das Internet ein Angebot machen. »Innerhalb von vier Wochen hat mir Partner in Life 34000 Euro geboten.« Kramer nahm das Angebot an, und innerhalb von sechs Wochen war das Geld auf seinem Konto.

Der Todesfallschutz – und das ist eine Besonderheit bei der Gestaltung dieses Kaufvertrags – bleibt über die Restlaufzeit erhalten. Aber Vorsicht: Im Fall des Falles bekommen die Angehörigen nicht die komplette im Vertrag stehende Todesfallleistung. Der auszuzahlende Betrag verringert sich um den bereits gezahlten Kaufpreis für die Police sowie die vom Käufer getragenen Kosten und Beitragszahlungen.

Verkauf oder Storno: Eine Beispielrechung

Beispiel

Eine mit 3,25 % verzinste Lebensversiche- rungspolice mit einer Gesamtlaufzeit von 30 Jahren hat eine Restlaufzeit von zehn Jahren. Frage: Wie würde sich eine Inflationsrate von 4,5 % auf die Kaufkraft der garantierten Versicherungsleistung auswirken?

Ausgangsdaten

Restlaufzeit 10 Jahre
Bruttobeitrag

3349€ p. a.

Sparbeitrag

3090€ p. a.

aktueller Rückkaufswert

71545€

garantierte Versicherungsleistung nach 30 Jahren

133 705 €

Szenario

Bei einer angenommenen Inflationsrate von 4,5 % und einer garantierten Verzinsung des Sparanteils von 3,25 % bedeutet das eine reale Verzinsung von minus 1,25 %.

Kaufkraft der garantierten Ablauf­ leistung in zehn Jahren*

95837€

Kaufkraft des Rückkaufswertes

71 545 Euro bei Beitragsfreistellung in zehn Jahren

(= 95 837 Euro minus 30 900 Euro Sparbeiträge)

64937€

Fazit

Die Kaufkraft des aktuellen Rückkaufswertes (71 545 Euro) übersteigt die Kaufkraft, die dieser Betrag in zehn Jahren repräsentieren würde (64 937 Euro) um 6 608 Euro. Würde der Versicherungsnehmer seine Police um 3 % über dem Rückkaufswert (73 691 Euro) verkaufen, würde der Kaufkraftgewinn 8 754 Euro betragen.

Anmerkung

*Partner in Life geht nicht davon aus, dass die Infla- tionsrate in den nächsten zehn Jahren 4,5 % beträgt. Der hier angenommene Wert soll lediglich die Auswirkungen der Inflation auf einen laufenden Lebensversicherungsvertrag veranschaulichen.